Antrag | 28.03.2012

Wer stellt wie das Alter von jungen Flüchtlingen fest?

Anfrage:

Wer stellt wie das Alter von jungen Flüchtlingen fest?

Dem Februar-Protokoll des Münchner Flüchtlingsrates ist zu entnehmen, dass einige jugendliche Flüchtlinge vom Familiengericht zu einem Altersfeststellungsverfahren geschickt wurden, bei dem u.a. ein Handwurzelröntgen durchgeführt wurde. Es ist in der Vergangenheit in verschiedenen Kontexten mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es keine wissenschaftliche Möglichkeit gibt, das Alter eines Menschen definitiv nachzuweisen. Jugendliche, die aus anderen kulturellen Kontexten kommen, unter anderen Lebensbedingungen und mit anderen Standards aufgewachsen sind, die Krieg, Flucht, Entbehrung und Trauma erlebt und erlitten haben, sind nicht vergleichbar mit Jugendlichen, die in friedlichen Kontexten in Deutschland aufwachsen. Sie haben außerdem (wie einige deutsche Jugendliche) u.U. auch über die Altersgrenze von 18 Jahren hinaus einen besonderen Bedarf an unterstützenden Maßnahmen und an gesonderten Unterbringungsformen, der in den regulären Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge nicht gedeckt werden kann. München hat derzeit ein massives Problem den großen Strom an jugendlichen Flüchtlingen in entsprechenden Maßnahmen unterzubringen. Doch das liegt nicht daran, dass reihenweise „erwachsene“ (also über 18 jährige) Flüchtlinge in die Jugendhilfemaßnahmen drängen. Altersfeststellungsverfahren an sich und das Handwurzelröntgen im Besonderen sind unnötige, menschenverachtende, rechtlich und bezüglich der Aussagekraft sehr umstrittene Versuche, Menschen einzugruppieren und auszusortieren – unabhängig von ihrer individuellen Biografie und aktuellen Lebenslage. Darüber hinaus steht das Handwurzelröntgen im rechtlichen Widerspruch zum Strahlenschutzgesetz, das Röntgenuntersuchungen zu medizinischen Zwecken vorsieht. Nicht zuletzt dürften Röntgenuntersuchungen bei Minderjährigen nur mit der Einwilligung eines Vormundes durchgeführt werden.

Wir fragen daher:

1. Wie stellt sich das Verfahren nach den derzeitigen Absprachen mit der Regierung von Oberbayern dar? Insbesondere:

a.) Wann kommen die Familiengerichte ins Spiel?

b.) Welche Vereinbarungen existieren zwischen Stadt und Regierung von Oberbayern bzw. dem Freistaat?

c.) Wer führt die Untersuchungen zur Altersfeststellung durch?
2. Auf welcher Rechtsgrundlage werden die Jugendlichen zur Altersfeststellung geschickt?

3. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basiert die Annahme, das Alter eines Menschen sei weltweit, auf kulturelle Unterschiede und Lebensstandards übergreifende Weise eindeutig feststellbar? Mit welchem Verfahren soll das gewährleistet werden?

4. Wie genau sieht die Altersfeststellungsuntersuchung, die in München derzeit offensichtlich durchgeführt wird, aus? Was wird untersucht und wie? Wer führt die Untersuchungen durch? Werden auch KinderärztInnen, PädagogInnen, PsychologInnen, EthnologInnen etc. herangezogen?

5. Werden die Jugendlichen über das Verfahren zur Altersfeststellung, ihre Rechte diesbezüglich und die möglichen Folgen der Altersfeststellung aufgeklärt?

6. Was geschieht bzw. wird den Jugendlichen als Konsequenz angekündigt, sollten sie nicht „freiwillig“ in das Altersfeststellungsverfahren einwilligen?

7. Bekommen die Jugendlichen jemanden zur Seite gestellt, der/die sie aufklärt über ihre Rechte und Pflichten in diesem Verfahren?

8. Was geschieht, wenn der/die Gutachter/in zu dem Schluss kommt, dass der/die Untersuchte über 18 Jahre alt ist? Werden Jugendhilfemaßnahmen dann automatisch ausgeschlossen?

Wenn ja,

a.) auf welcher Grundlage und mit welcher Begründung geschieht dies?

b.) was geschieht wenn erkennbar eine schwere Traumatisierung oder eine konkrete (Selbst-)gefährdung vorliegt?

9. Was geschieht, wenn ein zweites Gutachten zu einem anderen Ergebnis kommt?

10. Wie steht das Jugendamt zu den unterschiedlichen Methoden der Altersfeststellung?

Initiative:

Gülseren Demirel
Siegfried Benker
Jutta Koller
Dr. Florian Vogel