Antrag | 08.10.2013

Stadtratshearing zu künftigen Dämmstandards bei Neubau und Sanierung

 Antrag:
Die Stadtverwaltung wird aufgefordert ein Stadtratshearing durchzuführen zum Thema Bau- und Sanierungsstandards mit Schwerpunkt „ökologische Dämmstandards bei Gebäudehüllen“. Das Hearing soll stattfinden im Rahmen eines gemeinsamen Ausschusses Umwelt – Bau – Planung. Die Federführung sollte beim RGU liegen. Das Bauzentrum München soll dabei seine vielfältigen Erfahrungen aus zahlreichen Fachveranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Bau- und Planungsreferat einbringen.
Das Hearing richtet sich vorrangig an den Münchner Stadtrat als Entscheidungsträger für Bau- und Sanierungsmaßnahmen, an mit dem Thema befasste Verwaltungskräfte, z. B. aus Umwelt-, Bau-, Planungs-, Kommunal-, Bildungs- und Kulturreferat sowie an städtische Wohnungsbaugesellschaften. Die Veranstaltung sollte aber auch offen sein für weitere interessierte Zielgruppen wie andere kommunalpolitische Entscheidungsträger, Architekten, Genossenschaften, private Hausbesitzer, Hausverwaltungen und Mieter.
Dabei soll der Fokus gelegt werden auf die langfristige ökologische und gesundheitliche Verträglichkeit verschiedener Dämmstoffe bzw. Dämmsysteme, sowie ökologische und finanzielle Risiken im Entsorgungsfall (end of life). Ein weiterer Schwerpunkt sollen bauphysikalisch/ökologische Problemstellen wie Algenwachstum an Fassaden bilden. Auch die Vor- und Nachteile neuartiger monolithischer Fassadendämmsysteme wie Ziegel- oder Mineralschaum-Dämmsteine (z. B. nichtbrennbar ohne chemische Brand- und Feuchteschutzadditive) sind darzustellen als Kontrast zu Gebäuden mit synthetischem Wärmedämmverbundsystem (WDVS), ebenso die Vor- und Nachteile von gedämmten Holzbausystemen. Für den denkmal-/ensemblegeschützten Gebäudebestand sollten bauphysikalisch empfehlenswerte sowie gesundheits- und umwelt-verträgliche Innendämmsysteme vorgestellt werden. Die ganzheitliche Betrachtung der Lebenszykluskosten konventioneller und „alternativer“ Systeme soll in einem eigenständigen Vortrag dargestellt werden, als wichtige Entscheidungsgrundlage für einen nachhaltigen Immobilienbestand.
Als Referentinnen und Referenten sollten möglichst firmen- und produktunabhängige Fachleute aus Universitäten (z. B. TUM), öffentlichen Behörden (z. B. Umweltbundesamt/UBA, European Chemichals Agency/ECHA ) oder unabhängigen Forschungs-Instituten (z. B. Fraunhofer-Institut, Fachagentur nachwachsende Rohstoffe, etc.) eingeladen werden.
Ziel soll eine große städtische Allianz für energieeffiziente und ökologische Bau-/Dämmstandards bei Neubau und Sanierungen sein. Die Veranstaltung soll die o. g. Entscheidungsträger und Zielgruppen aufklären über die vielfältigen neueren, ökologisch verträglichen Bauprodukte/-systeme, sie soll wichtige Entscheidungshilfen liefern, sowohl für die künftigen Bau- und Sanierungstätigkeiten der LH München und ihrer Wohnungsbaugesellschaften, als auch für die künftigen Novellierungen städtischer Förderprogramme im Bauwesen.

Die Veranstaltung soll nach Möglichkeit in den nächsten 6 Monaten stattfinden, auf alle Fälle vor der nächsten Novellierung folgender Münchner Förderprogramme: Energieeinsparung (FES), Qualitätsstandard (MüQua) sowie ökologischer Kriterienkatalog.

Begründung:
Jährlich werden in München tausende Wohnungen neu gebaut und hunderte von Gebäuden energetisch saniert. Das städtische Bau- und Sanierungswesen gehört zu den wesentlichen Eckpfeilern kommunaler Daseinsvorsorge mit Investitionssummen von mehreren hundert Millionen € pro Jahr. Die LH München ist inklusive ihrer Tochtergesellschaften damit sicherlich einer der größten Bauakteure in der BRD. In den vergangenen Jahren wurden teils vorbildliche städtische Standards gesetzt im Energiebereich und beim Qualitätsmanagement (z. B. MüQua und FES vom Referat für Gesundheit und Umwelt, Bauleitfaden des städt. Baureferats, Sofortprogramm Hochbau). GWG + GEWOFAG setzen auch bauökologisch durch energieeffiziente monolithische Neubauten, sowie mit einzelnen Bauvorhaben in Holzbauweise positive Maßstäbe. Allerdings gilt dies vorrangig für Neubauten, und nicht für alle städtischen Bauakteure. Energieeffizienz und kurzfristige betriebswirtschaftliche Preisvorteile dominieren meist gegenüber der Bauökologie und einer langfristigen volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise – zumindest bei den Sanierungen. Bekanntermaßen fließt ein wesentlicher Teil städtischer Bauinvestitionen in die Gebäudesanierung.
Klassisches Beispiel ist die Verwendung von Polystyroldämmungen (PS), vorwiegend in Form von WDVS mit einem Marktanteil von ca. 80 %, aber auch als Innendämmung, Kellerdeckendämmung oder Dachgeschoßdämmmung. Obwohl diese PS-Produkte in der Immobilien- und Planungs-branche nicht sonderlich beliebt sind, dominieren PS-Produkte den Fassaden-Dämmstoffmarkt seit vielen Jahren. So werden bei speziellen Planungssoftware-Systemen, die auch von städtischen Wohnungsbaugesellschaften genutzt werden meist PS-Dämmsysteme als Standardsysteme definiert bzw. empfohlen, und dann auch häufig verbaut. Als einzige Begründung der Entscheider wird immer der kurzfristige Preisvorteil gegenüber Konkurrenzprodukten/-systemen genannt. Ggfs. höhere Entstandhaltungskosten und voraussichtlich hohe Entsorgungskosten werden dabei nicht einkalkuliert. Die nachhaltige Immobilienpolitik der LHM sollten diese finanziellen Risiken allerdings in einer ganzheitlichen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung mehr Aufmerksamkeit schenken.
In den letzten Jahren hat die Bauproduktebranche zahlreiche hochwertige und erprobte Alternativen am Markt platziert, die jedoch gegen die kurzfristig billigen synthetischen Bauprodukte einen schweren Stand haben. Allerdings mehren sich in den letzten Jahren kritische Stimmen aus den verschiedensten Branchen und Gründen, z. B.

  • Brandschützer kritisieren die hochtoxischen Abgase synthetischer Dämmstoffe im Brandfall und mangelnde Brandschutzprävention auf der Baustelle.
  • Bauphysiker kritisieren die Veralgung von West- und Nordfassaden wenn die Pestizide aus dem Fassadensystem ausgewaschen sind.
  • Gewässerökologen kritisieren diese Auswaschung der Pestizide und die zwangsläufige Grundwasserbelastung, die scheinbar auch bei neueren gekapselten Systemen langfristig nicht ausgeschlossen ist.
  • Ökologen und Ökotoxikologen befürchten langfristige Risiken für das Ökosystem durch die enormen Mengen an in der BRD verbauter PS-Dämmung (ca. 840 Mio. m² nach Kenntnis des Verfassers, jedes Jahr kommen ca. 30 – 40 Mio m² dazu) aufgrund der toxischen Inhaltsstoffe wie das mutagene Styrol oder das persistente, bioakkumulative und ökotoxische Flammschutzmittel Hexabromcyclododekan (HBCD). Wegen äußerst kritischer Stoffeigenschaften steht HBCD seit Jahren auf dem „Index“ der europäischen Chemikalienagentur (ECHA), im Mai diesen Jahres wurde im Rahmen des „Abkommen gegen gefährliche langlebige organische Schadstoffe“ (POP) ein Herstellungs- und Anwendungsverbot von HBCD beschlossen, allerdings nur halbherzig, d. h. inklusive einer Übergansphase, obwohl für jeden Einsatzzweck am Bau erprobte Alternativen vorhanden sind.
  • Baubiologen kritisieren das erhöhte Schimmelpilzrisiko bei PS-Innendämmung sowie mögliche Schadstoffstoffausdünstungen.

Die voraussichtlich sehr teure sortenreine Trennung und Entsorgung von PS-WDVS werden künftig vermutlich an den Immobilienbesitzern hängen bleiben, also in den nächsten Jahrzehnten auch an der LH München. Bekannt ist diese Sanierungs- und Entsorgungsproblematik durch alte Asbestfassaden, alte krebserregende Mineralwolle oder gesundheitsgefährdende Holzschutzmittel. Alles Produkte, die jahrelang grossflächig verbaut wurden, meist billig für den kurzsichtigen Investor, langfristig teuer für die Nutzer bzw. Immobilienbesitzer. Die heute scheinbar billigen Dämmstoffe Styropor/Neopor können ebenfalls langfristig zum finanziellen Bumerang für Immobilienbesitzer und Wohnungsbaugesellschaften werden, und zum neuen ökologischen Risiko. Es geht dabei um hundertausende Quadratmeter PS-Sondermüll alleine in München.
Aufgrund der aufgezeigten Brisanz und der enormen Größenordnung für die LH München – insbesondere auch im Hinblick auf die Vielzahl der noch zu sanierenden Immobilien – müssen diese Probleme und die vorhandenen Alternativen dem Stadtrat als Entscheidungsträger und der zuständigen Verwaltung möglichst produkt- und firmenunabhängig aufgezeigt werden. Anschließend soll anhand dieser Erkenntnisse politisch entschieden werden, welche Änderungen ggfs. im städtischen Bau- und Sanierungswesen vorzunehmen sind um energetisch, bauökologisch und volkswirtschaftlich effiziente Gebäude zu errichten bzw. zu sanieren.
Wünschenswert aus GRÜNER Sicht ist ein Green-Building-Standard, wie von einer großen Stadtratsmehrheit am 2.10.2013 für die olympischen Bauten 2022 gefordert.

Fraktion Die Grünen-rosa liste

Initiative: Herbert Danner
Sabine Krieger
Sabine Nallinger
Mitglieder des Stadtrates