Pressemitteilung | 24.03.2022

Münchner Appell an die Bundesregierung: Die Wohnungskrise in München und anderen großen Städten wirksam bekämpfen

Forderungen für eine soziale Wohnungs- und nachhaltige Bodenpolitik

Die Lage der großen und größten Städte Deutschlands wird immer dramatischer. Das gilt im besonderem Maße auch für München. Dort steigen die Bodenpreise jährlich um durchschnittlich 12 %, seit 2010 auf 330 % des damaligen Preises von 1.200 € auf ca. 4.000 € pro Quadratmeter Bauland .
Die Immobilien-Neubaupreise haben sich mehr als 2,5-facht, ebenso wie die Preise für Bestands-Immobilien. Neubau-Eigentumswohnungen sind etwa 2,3 mal so teuer wie 2010, die Erst- und Wiedervermietungs-Mieten haben sich von 12 und 13 €/m² um durchschnittlich 60 % auf fast 20 bzw. mehr als 21 €/m² erhöht.
Als Amts- und Mandatsträger*innen sind wir täglich auf allen politischen Ebenen mit der größten sozialen Frage unserer Zeit konfrontiert: bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten. Mehr als in anderen Bereichen ist hier der Handlungsspielraum der Kommunen abhängig von der Gesetzgebung des Bundes.
Eng verknüpft mit der Wohnungsfrage ist die Bodenfrage. Dem Bodenpreis folgt die nicht mehr tragbare Dynamik der Preisspirale bei Immobilien und Mieten. Ihr wurde in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene aus Sicht der großen Städte zu wenig Augenmerk gewidmet.
Wir meinen: Grund und Boden sind nicht vermehrbar und daher unter besonderen staatlichen Schutz zu stellen. Eine gut aufgestellte Bodenpolitik in den Verdichtungsräumen ist der Schlüssel zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Gleichzeitig dient Flächeneffizienz der Klimagerechtigkeit.
Daher stellen wir als Münchner Amts- und Mandatsträger*innen folgende Forderungen und bitten die Bundestagsfraktionen der Ampelkoalition“ um Unterstützung bei einer raschen Umsetzung:

In Städten mit angespannten Wohnungsmärkten wird:

als Sofortmaßnahme die Wiederherstellung des kommunalen Vorkaufsrechts in Erhaltungssatzungsgebieten durch klarstellende Ergänzungen von § 26 BauGB und § 89 (3) BauGB ohne Zeitverzögerung umgesetzt;

– im Baugesetzbuch ein gebietsbezogenes und wirksameres Baugebot durch das neue Instrument der Innenentwicklungsmaßnahme (IEM) sowie die Unterstützung kommunaler Bodenfonds durch ein erweitertes Vorkaufsrecht zum sozial gebundenen Ertragswert ermöglicht;

– für private Vermieter*innen von Mehrfamilien-Häusern die Körperschafts- bzw. Einkommens-Besteuerung der Erträge aus Vermietung auf ein Drittel gesenkt, wenn und solange die Wohnungen für mindestens zehn Jahre 15% unter Mietspiegel an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden („Gemeinwohlwohnen“);

– für private Vermieter*innen von Mehrfamilien-Häusern die Berechnungsgrundlage der Erbschafts-/Schenkungssteuer auf den Ertragswert von vereinbarten Mieten – auch unterhalb von 20% unter dem Mietspiegel – begrenzt sowie auf einer Berechnungsbasis des Grundstücks von 30% unter dem Bodenrichtwert reduziert, solange die vereinbarten Mieten nur nach Verbraucherpreisindex und auf maximal 15 % unter dem Mietspiegel erhöht werden. Bei Abweichung und bei Verkauf ohne diese Auflagen muss das Delta zur Regel-Erbschafts-/Schenkungssteuer mit Verzinsung nachgezahlt werden.

Außerdem fordern wir:

– dass qualifizierte Mietspiegel durch die Einbeziehung von Mietverträgen der letzten 20 Jahre eine breitere Basis der tatsächlichen Mietmarktentwicklung erhalten und damit die Dynamik der Treiber von Mietpreiserhöhungen im Neubau und Bestand dämpfen können;

– dass die 10jährige Spekulationsfrist in § 23 Einkommensteuergesetz abgeschafft und damit die Besteuerung privater Immobiliengeschäfte an die anderer Vermögensgüter angeglichen wird;

– dass die Möglichkeiten eines Bodenpreisdämpfungsgesetzes geprüft werden, mit dem in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten Bodenpreissteigerungen (ggf. befristet) auf die Steigerung des Verbraucherpreisindex begrenzt werden (vgl. Difu-Vorschlag);

– die Unterstützung einer Bodenvorratspolitik der Kommunen für den geförderten und konzeptionellen bezahlbaren Wohnungsbau durch Übertragung von bundeseigenen Grundstücken und Immobilien.

Begründung für die Dringlichkeit unseres Appells:
Die Wohnungsfrage war schon immer vor allem eine Bodenfrage. Eine sozial gerechte und nachhaltige Nutzung des unvermehrbaren Bodens setzt voraus, dass er der Verwertungsspirale weitgehend entzogen wird und dem Allgemeinwohl verpflichtet bleibt. Befeuert durch die Nullzinspolitik hat seit der Weltfinanzkrise der Ausverkauf von Boden in Stadt und Land Fahrt aufgenommen. Selbst im Corona-Jahr 2020 hielt der Zustrom von Anlagekapital auf den deutschen Immobilienmarkt unvermindert an und erreichte ein Transaktionsvolumen (Wohn- und Gewerbeimmobilien) von fast 80 Mrd. Euro.

Die Baulandpreise haben sich in den Großstädten mit über 500.000 Einwohner*innen von 2009 bis 2019 mehr als verdreifacht und bescheren Finanzinvestoren märchenhafte Renditen – ganz ohne eigene Investitionen. In München entfallen bei Baulandpreisen von mehr als 4.000 Euro/m² rund 80 Prozent der Kosten einer Wohnung auf das Grundstück – was zu Neubaumieten jenseits von 20 Euro/m² führt. Selbst mit Baukostensenkungen im zweistelligen Prozentbereich können hier keine bezahlbaren Wohnungen mehr entstehen.

Die Wohnungskrise ist nicht zuletzt Teil der bedrohlichen Klimakrise. Vierzig Prozent der CO2-Belastung in Deutschland resultieren aus Bau, Betrieb und Abriss von Gebäuden. Schon deshalb muss soziale Wohnungspolitik mit Flächeneffizienz und Dekarbonisierung einhergehen. Klimagerecht sind vor allem energetisch ertüchtigte Wohnungen im Bestand. Um den unvermeidlichen Neubau möglichst klimagerecht zu bewerkstelligen, reichen nachwachsende Baustoffe, Bauteil- bzw. Materialrecycling und eine CO2-freie Wärmeversorgung nicht aus. Vor allem muss der weitere Flächenfraß gestoppt werden. Aufstockung und Nachverdichtung ermöglichen bei gleichzeitigem Ausbau der grünen Infrastruktur eine klimagerechte Innenentwicklung.

Dafür sind die oben genannten Instrumente und Maßnahmen unverzichtbar und müssen zeitnah in die Wege geleitet werden.

Unterzeichner*innen:

Sibylle Stöhr
Bernd Schreyer
Stadträt*innen der Fraktion Die Grünen-Rosa Liste im Münchner Rathaus

Svenja Jarchow
Joel Keilhauer
Vorsitzende der Münchner Grünen