Pressemitteilung | 02.03.2012

Mehr Mut und Konsequenz beim Lärmschutz

PRESSEGESPRÄCH

MEHR MUT UND KONSEQUENZ BEIM LÄRMSCHUTZ

Stadträtin Sabine Nallinger:
Die sogenannte Umgebungslärm-Richtlinie der EU stellt die Stadt vor schwierige Herausforderungen. In 24 „Hotspots“ der Stadt wurde die Kombination von hoher Lärmbelastung mit hoher Bevölkerungsdichte festgestellt – ein Grund zum Handeln. Der am Dienstag, den 6.März zur Beratung anstehende Lärmaktionsplan sieht neben dem Einbau von lärmarmem Straßenbelag und passivem Schallschutz vor, in acht Untersuchungsgebieten die Einführung von Tempo 30 auch auf Hauptstraßen zu prüfen. Während diese Maßnahme in anderen Großstädten im Grundsatz kein Problem darstellt, tut sich das rot-grün regierte München schwer mit der Geschwindigkeitsreduzierung auf Hauptstraßen.

Gesundheitliche Auswirkungen von Lärm
Lärm ist ein Problem, dem man sich nicht entziehen kann, weil die Ohren sich nicht einfach „ausschalten“ lassen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund von Lärm sind vielfältig. Ab einer Dauerbelastung von 60 db(A) führt Lärm erhöht sich das Risiko für viele körperliche Beschwerden und Krankheiten. Zu den möglichen Langzeitfolgen chronischer Lärmbelastung gehören neben den Gehörschäden auch Änderungen bei biologischen Risikofaktoren (zum Beispiel Blutfette, Blutzucker, Gerinnungsfaktoren) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie arteriosklerotische Veränderungen („Arterienverkalkung”), Bluthochdruck und bestimmte Herzkrankheiten einschließlich Herzinfarkt. Darüber hinaus beeinträchtigt Lärm aber auch als psychosozialer Stressfaktor das subjektive Wohlempfinden und die Lebensqualität. Lärm führt zu Schlafstörungen und beeinträchtigt dadurch massiv die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz und auch in der Schule. Die Bürger vor Lärm zu schützen bzw. Lärmbeeinträchtigungen zu verringern ist damit ein wichtiges umwelt-und gesundheitspolitisches Ziel. An Straßenabschnitten, an denen erhöhte Lärmwerte festgestellt werden, treten gleichzeitig in der Regel erhöhte Schadstoffbelastungen auf und bilden weitere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Feinstaub) oder Krebs (Stickstoffoxide).

Der Münchner Lärmaktionsplan
Die Aufstellung von Lärmaktionsplänen ist wichtiger Bestandteil der EU-Umgebungslärmrichtlinie die 2005 in nationales Recht umgesetzt wurde. Das Bundesimmissionsschutzgesetz verpflichtet Kommunen demzufolge Lärmkarten aufzustellen und an definierten Problempunkten Lärmaktionspläne in Kraft zu setzen. Der Münchner Stadtrat beschloss im Januar 2008, einen Lärmaktionsplan aufzustellen und sich an den Richtwerten für Sanierungen an Bundesstraßen zu orientieren: 70 dB(A) tagsüber und 60 dB(A) in der Nacht (die EU selbst hat keine Richtwerte vorgegeben). An 130 km des 600 Straßenkilometer langen Münchner Hauptstraßennetzes wurden Überschreitungen dieser Werte festgestellt, wovon 37.000 Menschen betroffen sind. Gegenwärtig plant die Bundesregierung eine Verschärfung der oben erwähnten Richtwerte auf 67 bzw. 57 dB(A), das bayerische Umweltministerium wird empfehlen, diese abgesenkten Richtwerte ab Sommer 2012 bei der weiteren Aufstellung von Lärmaktionsplänen zu berücksichtigen. Sollte der Münchner Stadtrat diese Werte für die Lärmaktionsplanung entsprechend absenken, würde sich die Zahl der betroffenen Einwohner auf 50.000 erhöhen. In Problembereichen mit hoher Belastung und einer hoher Bevölkerungsdichte wurden 24 „Hot Spots“ definiert, an denen Lärmminderungsmaßnahmen vorgeschlagen wurden. Neben allgemeinen strategischen Maßnahmen wie Verkehrsverflüssigung, Ausbau des ÖPNV und der Radverkehrsinfrastruktur (etliche Maßnahmen wurden aus dem Luftreinhalteplan übernommen, da sie sowohl zu einer Reduzierung der Luftschadstoffe als auch zu einer Lärmminderung führen) sieht der aktuelle Beschlussentwurf als aktive operative Maßnahmen Temporeduzierungen und den Einbau lärmarmer Straßenbeläge vor. Andere aktive Maßnahmen wie z.B. Lärmschutzwände lassen sich innerstädtisch kaum realisieren. Als passiven Lärmschutz will die Stadt in den nächsten drei Jahren den Einbau von Schallschutzfenstern mit 810.000 € fördern. Pro Wohnung können max. 5000 €
Zuschuss beantragt werden.
Zusätzlich werden einige sogenannte ruhige Gebiete in öffentlich zugänglichen Frei-
und Erholungsflächen festgelegt, wo es nachträglich keine Verschlechterung zur
derzeitigen Situation geben darf.

Lärmarme Beläge:
Obwohl es derzeit noch keine Langzeituntersuchungen zur Wirksamkeit lärmarmer Straßenbeläge gibt (das Baureferat prüft derzeit in einem Langzeitversuch Wirksamkeit, Dauerhaftigkeit und Unterhaltsaufwand der Beläge) wurde diese Maßnahme in allen Untersuchungsgebieten als „Favorit“ geprüft. Mit dem Konjunkturpaket II wurden ab 2009 bereits auf einigen Straßenabschnitten lärmmindernde Fahrbahnbeläge eingebaut (u.a. Chiemgaustr. zw. Balan-und Rosenheimerstraße, Fürstenriederstraße zwischen Waldfriedhofstraße und A96, Wasserburger Landstraße zwischen Friedenspromade und Stadtgrenze, Leopoldstraße zwischen Schenkendorf-und Schmalkaldenerstraße.). Lärmarme Beläge sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn der gewählte Straßenabschnitt entsprechend lang ist und nicht durch Ein-oder Ausfahrten, Abbiegungen, Kreuzungen, Ampeln etc. unterbrochen ist. Zusätzlich zu den Konjunkturpaket II -Gebieten werden lärmarme Beläge nur in fünf Untersuchungsgebieten vorgeschlagen, in allen anderen wurden sie verworfen.

Tempo 30:
Tempo 30 war lange Zeit eine Maßnahme, die fast ausschließlich zur Erhöhung der Verkehrssicherheit angewendet wurde. Jetzt suchen die Kommunen aus gesundheitspolitischen Gründen nach Instrumenten zur Lärmminderung und stoßen dabei notwendigerweise auf die Hauptstraßen, die eine der Hauptquellen innerstädtischer Lärmbelastung darstellen. Hier sind Geschwindigkeitsreduzierungen wirksam und können relativ schnell – und übrigens auch sehr kostengünstig umgesetzt werden. Gerade nachts lässt sich mit Tempo 30 die Lärmbelastung durch einzelne Vorbeifahrten (der sogenannte Vorbeifahrpegel) um 6-8 dB(A) verringern – eine deutlich wahrnehmbare Veränderung. Wie Untersuchungen in Berlin ergaben, wird bereits eine Reduzierung um 1 dB(A) registriert. Tagsüber ist auf viel befahrenen Straßen ohnehin kaum eine höhere Geschwindigkeit als 30 km/h möglich, während
nachts der oft als Einwand gegen Geschwindigkeitsbegrenzung benutzte
Wirtschaftsverkehr nur schwach ist und negative Auswirkungen demzufolge nicht zu
befürchten sind.
Wir gehen davon aus, dass auch im nachgeordneten Straßennetz immer mehr
Tempo 30-Abschnitte angeordnet werden müssen. Dies erfolgt allerdings nicht im
Rahmen des Lärmaktionsplans, da hier das im Lärmaktionsplan geforderte Kriterium
der hohen Anzahl Betroffener nicht erreicht wird. Gleichwohl wird die Verwaltung
immer häufiger zum Handeln gezwungen sein, da die Lärmbelastung auch auf
nachgeordneten Straßen vielerorts zu hoch ist.
Tempo 30 wird in 10 Untersuchungsgebieten zunächst lediglich zur Prüfung
vorgeschlagen. Dabei werden die Vorschläge zur Geschwindigkeitsreduzierungen
auf Hauptstraßen nach Tag-und Nachtreglungen und nach LKW-Verkehr
differenziert:

nachts Kapuzinerstraße zwischen Lindwurm-und Thalkirchnerstraße;
nachts Schwanthalerstraße/Paul-Heyse-Straße;
ganztags Gabelsberger-/Theresienstraße nach Änderung der Einbahnregelung;
nachts für LKW Moosacherstraße/Frankfurter Ring;
ganztags Rosenheimerstraße, nordwestlicher Abschnitt;
nachts Humboldt-/Pilgersheimerstraße;
ganztags Brudermühlstraße zwischen Tunnelportal West und Schäftlarnstraße;
nachts Wittelsbacher-/Auen-/Ehrengut-/Isartalstraße;
nachts für LKW Schwanseestraße;
ganztags Lindwurmstraße zwischen Pocci-und Plinganserstraße.

Betroffen sind lediglich 30 km des insgesamt 600 km umfassenden
Hauptstraßennetzes der Stadt – und auch hier soll die Geschwindigkeitsbegrenzung
einstweilen nur geprüft werden. 150 weitere Straßenkilometer, die Überschreitungen
der Lärmrichtwerte aufweisen, können gar nicht mehr von Lärmminderungs­maßnahmen erfasst werde, bevor der Lärmaktionsplan 2013 fortgeschrieben werden
muss.

Der vorliegende Lärmaktionsplan ist ein sehr maßvoller Maßnahmenkatalog – man
könnte ihn auch als unambitioniert einstufen. Die Wurzel des Lärmproblems – der

motorisierte Individualverkehr bleibt im Grundsatz unangetastet, eine stadtverträgliche Verkehrsmenge undefiniert. Dabei wäre dies auch zur Lösung anderer Umweltprobleme wie der Feinstaubbelastung oder der Stickoxidproblematik ein wichtiger Ansatz. Eine weitere Schwäche liegt in der fehlenden Abstimmung mit der Deutschen Bahn, die ihre Lärmminderungsplanung unabhängig von der Stadt durchführt. Eine integrierte Planung wäre sicherlich sinnvoller. Die Bescheidenheit des Münchner Lärmaktionsplanes zeigt sich auch im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, die das Instrument der Geschwindigkeitsreduzierung mit größerer Entschlossenheit nutzen. So existiert in Berlin bereits seit Januar 2009 an 50 km Hauptstraßen eine nächtliche Tempo 30-Regelung. An einzelnen Abschnitten gilt die Regelung ganztägig, weitere Bereiche werden geprüft. Auch in Freiburg gilt seit 2010 an 2 Hauptstraßen nachts Tempo 30, Frankfurt und Stuttgart (Tempo 40) prüfen die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Trotz aller Schwächen sind wir Grüne bereit, dem vorliegenden Beschlussentwurf am kommenden Dienstag zuzustimmen, um wenigstens einen kleinen Schritt vorwärts zu kommen. Um so unverständlicher ist uns die Haltung der anderen Fraktionen im Stadtrat inklusive unseres Bündnispartners, die jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung – und sei es nur deren Prüfung – als Instrument zur Lärmminderung kategorisch ablehnen.