Pressemitteilung | 29.07.2009

Keine Vereidigung von Karl Richter

Rede von Siegfried Benker,
Fraktionsvorsitzender B 90/Die Grünen – rosa Liste
vor dem Stadrat am 29.07 2009

„In letzter Instanz wurde vom Landgericht München I rechtskräftig festgestellt, dass der Neonazi Karl Richter während seiner Vereidigung als Stadtrat vorsätzlich den sog. Hitlergruß gezeigt hat. Damit wurde auch vom Gericht festgestellt, dass diese Tat vorsätzlich begangen wurde und nicht fahrlässig. Alle während des Verfahrens und danach getätigten Äußerungen Richters, die sein Verhalten relativieren oder bagatellisieren sollten, sind untaugliche Versuche gewesen, von seiner vorsätzlichen Straftat abzulenken.

Richter hat bei der Vereidigung gleichzeitig ein Lippenbekenntnis zum Grundgesetz abgegeben und auf den Führerstaat der Nationalsozialisten geschworen. Er hat statt der Treuerklärung auf das Grundgesetz bewusst eine verfassungsfeindliche Aussage getroffen. Damit ist der Eid im Kern ausgehöhlt worden. Der Eid wurde im Augenblick des Aussprechens der Eidesformel schon negiert. Karl Richter hat den Verfassungseid zum Meineid verkommen lassen.

Bis hierher ist Einigkeit zwischen allen demokratischen Parteien. Auch die Rechtsaufsicht teilt bis hierher diese Ansicht.

Der Unterschied heute entsteht bei der Frage, was die Konsequenzen aus diesem Verhalten sind. Die Rechtsaufsicht, der OB und die Mehrheit des Stadtrates haben deutlich gemacht, bzw. wollen heute deutlich machen, dass der Eid zwar ungültig ist – aber durch eine 2. Vereidigung nachgeholt werden kann. Wir halten das für falsch. Die Möglichkeit den Eid zu wiederholen reduziert u. E. die vorsätzliche Straftat auf das Niveau einer Fahrlässigkeit, die geheilt werden kann.

Wir sehen in der vorsätzlichen Straftat eindeutig eine Verweigerung der Eidesleistung.

Es kann unseres Erachtens keine stärkere Verweigerung gegenüber dem Kern der demokratischen Eidesleistung geben, als dieses zurecht verbotene Zeichen des Nationalsozialismus. Ist eine stärkere Verweigerungshaltung gegenüber der bundesdeutschen Demokratie überhaupt denkbar?

Als gesetzliche Rechtsfolge der Verweigerung der Eidesleistung hat Karl Richter sein Amt als Stadtrat niemals angetreten – denn das ist die unmissverständlich im Gesetz vorgesehene Konsequenz für die Verweigerung des Eides. Und genau diese Konsequenz – den Verlust des Mandats, soll der Stadtrat unseres Erachtens heute feststellen.

In der Vorlage wird ausgeführt, dass es hierfür zu spät sei. Die Feststellung der Verweigerung der Eidesleistung hätte sofort nach der Vereidigungszeremonie und dem Zeigen des Hitlergrußes am 2. Mai 2008 oder wenigstens kurz darauf erfolgen müssen. Inzwischen wäre deutlich geworden, dass Richter als Stadtrat tätig war und auch sein wollte. Und deswegen wäre die Verweigerung des Amtseides nicht mehr anzunehmen.

Dieses Argument geht für uns am entscheidenden Faktum vorbei: Erst mit dem rechtskräftigen Urteil – und nicht früher – konnte der erforderliche Nachweis erbracht werden, dass der sog. „Hitlergruß“ tatsächlich und vorsätzlich gezeigt wurde.

Die Feststellung über die Ungültigkeit des Eides, die die Rechtsaufsicht getroffen hat und die zur heutigen Nachvereidigung führen soll, wurde ja auch erst nach dem rechtskräftigen Urteil festgestellt. Wenn das Argument der 14monatigen Zeitverzögerung zwischen Straftat und Beschluss über die Konsequenzen richtig wäre, dann müsste dies auch für die Nachvereidigung gelten.

Eine Straftat UND DIE KONSEQUENZEN die aus einer Verurteilung zu ziehen sind, werden nicht hinfällig, wenn sich ein Straftäter zwischen Straftat und Urteil nichts mehr zu Schulden kommen lässt. Wird ein Beamter beispielsweise nicht mehr beamtenrechtlich belangt, nur weil zwischen Straftat und Verurteilung 14 Monate liegen und der Beamte in dieser Zeit weitergearbeitet hat? Natürlich nicht!

An einer Feststellung der Verweigerung der Eidesleistung geht u. E. Kein Weg vorbei.

Dieser Stadtrat hat wiederholt und einmütig Stellung gegen rechtsextreme Gruppen und Aufmärsche bezogen. Das war richtig und notwendig. Wir fordern in diesen Beschlüssen immer andere auf, tätig zu sein vor Ort, auf der Straße, im Betrieb, am Arbeitsplatz, in der Schule, gegen Rechts. Heute sind wir gefordert in unserem Haus, in unserem Gremium, dem Stadtrat, das Signal gegen Rechts zu setzen.

Die Vorlage, die ja die Mehrheitsmeinung im Stadtrat widerspiegelt, warnt davor, dass unkalkulierbare juristische Risiken entstehen würden wenn der Stadtrat den Weg der Feststellung der Eidesverweigerung geht, den die Grünen–rosa Liste heute vorschlagen. Wir sehen das nicht so. Es waren ja eben die bayerischen Gerichte, die das Zeigen des Hitlergrußes als vorsätzliche Straftat verurteilt haben. Und die Frage verdient es auch höchstrichterlich geklärt zu werden: Wie ist das Selbstverständnis dieses Rechtssystems? Das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung sind ja keine neutralen Lippenbekenntnisse, sondern sind klar werteorientiert. Wie viel Verhöhnung der Werte des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung sind die Gerichte in Bayern und evtl. das Bundesverfassungsgericht wohl bereit zu akzeptieren? Wir können uns kein bayerisches und kein bundesdeutsches Gericht vorstellen, das hier nicht von einer Eidesverweigerung ausgehen würde. Natürlich geben auch wir zu: Es bleibt ein Risiko. Aber das sind wir bereit einzugehen. Denn auch das Signal ist wichtig: Wo ein klare Chance besteht einen Neonazi aus dem Stadtrat zu entfernen, nehmen wie sie wahr.

Wir hoffen also, dass eine Mehrheit des Stadtrates heute den politischen Mut hat mit dem heutigen Änderungsantrag, unserem Vorgehen zu folgen.

Die Fraktion hat aber auch lange diskutiert, wie wir damit umgehen, dass die Mehrheit im Stadtrat eine Vereidigung vornehmen will, während wir das als juristisch und politisch falsch ansehen. Doch trotz der unterschiedlichen Wege im Kampf gegen Rechts, wie sie heute und hier auch unter demokratischen Parteien deutlich werden – und deutlich sein dürfen! – bleibt das Ziel aber doch ein gemeinsames. Der Grundkonsens gegen Rechts soll bestehen bleiben und sich auch zeigen. Das Verhalten eines Rechtsextremisten darf zwar Debatten über den richtigen Weg dem entgegenzutreten aufwerfen, aber die Demokraten trotz ihrer Unterschiede in letzter Konsequenz nicht spalten. Wenn wir im Anschluss an diese Debatte der Vereidigung beiwohnen, dann nicht weil wir diese Nachvereidigung richtig finden, sondern weil wir eine Spaltung der Demokraten falsch finden.“