Menschen wollen bei schönem Wetter auf der Caféterrasse sitzen. Von Freischankflächen profitieren Gastronomie, Gäste und das Münchner Lebensgefühl. Auf Gehwegen darf es aber nicht zu eng werden – schließlich müssen aber auch Rollstuhlfahrer*innen, Eltern mit Kinderwagen oder Senior*innen mit Rollator vorbeikommen. Um diese verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen, hat das Kreisverwaltungsreferat in Abstimmung mit der Politik, Vertreter*innen von Gastronomie und Wirtschaft, Behinderten- und Seniorenbeirat ein Konzept erarbeitet. SPD und CSU wollen dieses aber offenbar nicht verwirklichen.
Der Vorschlag sieht vor, dass die Durchgangsbreite auf Gehwegen von 1,60 auf 1,80 Meter erhört wird, gemäß der DIN-Umsetzungsempfehlungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Jedoch schlägt das Kreisverwaltungsreferat einen Kompromiss vor, der mit viel Fingerspitzengefühl alle Interessen berücksichtigt. So sollen dort, wo weniger Menschen zu Fuß unterwegs sind, weiterhin in 1,60 Meter gelten, sofern alle 15 Meter Begegnungsflächen geschaffen werden, die garantieren, dass alle gut aneinander vorbeikommen. So müsste im gesamten Stadtgebiet keine einzige Freischankfläche entfallen und gesamt müsste nur etwa ein Prozent der jetzt gastronomisch genutzten Flächen an den Fußverkehr zurückgegeben werden. Lediglich 177 Freischankflächen müssten um ein oder zwei Tische reduziert werden. Das Kreisverwaltungsreferat hat für einige dieser Fälle allerdings bereits Ortstermine angesetzt, um nach Lösungen zu suchen.
Die SPD/Volt-Fraktion sowie die CSU/FW-Fraktion schlagen nun vor, statt dieser maßvollen Kompromisses ausschließlich auf den guten Willen und Absichtserklärungen zu setzen. Die Fraktion Die Grünen – Rosa Liste bezweifelt, dass dadurch wirklich eine gute Lösung für alle Interessensgruppen gefunden wird.
Gudrun Lux, mobilitätspolitische Sprecherin Die Grünen – Rosa Liste: „Freischankflächen zum Münchner Lebensgefühl und wir Grüne haben dafür gesorgt, dass es in unserer Stadt inzwischen auch Schanigärten gibt. Ich freue mich jedes Jahr auf den April, wenn die Schanigärten wieder stehen und Münchens Straßen mit ihnen zu neuem Leben erwachen! Zum Münchner Lebensgefühl gehört aber auch, dass alle Menschen hier frei und sicher unterwegs sein können – und das gilt auch für die Mutter mit dem Zwillingskinderwagen, für den Rollstuhlfahrer, für eine Seniorin mit Rollator oder für einen Sehbehinderten, der sich mit dem Blindenstock orientiert. Wir als Politik sind hier seit Jahren zusammen mit der Verwaltung an Lösungen dran, die die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen. Das KVR hatte gute und plausible Vorschläge erarbeitet und sie bei einem interfraktionellen Austausch im Juli vorgestellt und diskutiert. Ich finde es bedenklich, diesen umsichtig ausgehandelten Kompromiss nun einfach wegzuwischen. Ich habe nichts gegen eine Kampagne und einen generellen Appell für ein besseres Miteinander – klare Regeln ersetzt das aber nicht! Denn nur klare Regeln ermöglichen tatsächlich ‚Leben und leben lassen’. Es darf nicht sein, dass das Recht der Stärkeren gilt und die Schwächeren auf deren Wohlwollen angewiesen sind. Wir brauchen nicht nur Absichtserklärungen, sondern eben auch klare Regeln, um Schwächere zu schützen.“
Lorenz Geier: „Im Alltag bin ich auf einen Rollstuhl angewiesen. Hürden begegne ich jeden Tag, wo ich in München unterwegs bin. Aber nicht nur ich – Eltern mit Kinderwagen oder ältere Menschen mit Rollator kommen an Engstellen oft auch nicht vorbei. Barrierefreiheit ist also nicht nur für uns Rolli-Fahrende wichtig. ,Leben und leben lassen‘, das klingt nur in der Theorie gut. In der Praxis bedeutet das, dass die Bedürfnisse vieler Menschen einfach hinten runterfallen.“
Vasili Kirtopoulos: „Wir Rollifahrer*innen sind doch auch Teil dieser Gesellschaft. Und dass es auf Begegnungsflächen 1,80 Meter braucht, damit alle gut aneinander vorbeikommen, ist auch kein Luxus oder eine Extrawurst, sondern einfach gesetzlicher Standard. Wir wollen hier gar nicht Außergewöhnliches, das muss man auch einmal festhalten. Außerdem verstehe ich nicht, dass einige Wirt*innen offenbar vergessen, dass auch wir Rollifahrende potenzielle Gäst*innen sind.
Nicole Niedermeier: „Seit 1996 lebe ich in München und bin schon immer viel mit meinem Elektrorollstuhl unterwegs gewesen. Tatsächlich stellen zu schmale Gehsteige oft ein großes Problem dar. Manche sind an sich schlicht zu eng konzipiert, da lässt sich nun mal nichts ändern. Aber es gibt weitere Gründe, die (leicht) zu beheben wären. Oft parken PKW und Lieferwagen einfach mitten auf dem Gehsteig oder ausgerechnet auf der Gehsteig-Absenkung, was es mir unmöglich macht, den Gehsteig zu verlassen.
Neben den Kraftfahrzeugen sind da noch zusätzlich schlecht geparkte Fahrräder oder Elektroroller. Des Weiteren verengen sich Gehwege durch Sitzbereiche der Gastronomie oder Werbeschilder.
Auch viele Baustellen machen mir das Leben oft schwer. In allen Fällen bin ich genötigt, auf den Fahrradweg oder die Straße auszuweichen, was potentielle Gefahrensituationen beinhaltet. Schon einige Male hatte ich Fast-Unfälle deswegen oder wütende Fahrradfahrer beschimpften mich, weil ich auf dem Radweg fahre und kein Platz zum Überholen ist. Es kann auch sein, dass ich den Weg, den ich gekommen bin, zurückgehen muss und größere Umwege in Kauf nehmen.
In der Innenstadt fällt mir auch oft die Ignoranz der Menschen auf, die sich weigern, an einer schon beengten Stelle einen Schritt zur Seite zu gehen und scheinbar von mir erwarten, dass ich mich seitlich vom hohen Bordstein stürze. Spezielle Lösungsvorschläge habe ich leider nicht, außer dass alle Verantwortlichen einfach auch an mobilitätseingeschränkte Mitmenschen denken sollten.
Seien es Menschen im Rollstuhl, mit Krücken, Rollatoren oder Kinderwägen. Mein Rollstuhl ist 70 Zentimeter breit und ich kann gut mit ihm umgehen, aber es gibt auch breitere Hilfsmittel und Menschen, die nicht so gut rangieren und steuern können.