Die Grün-Rosa Stadtratsfraktion lehnt weiteren Kiesabbau im Forst Kasten strikt ab. Dennoch werden die grünen Vertreter*innen im Sozialausschuss rechtlich gezwungen, einer Pacht-Vergabe zuzustimmen – unter Protest. Zum Hintergrund einer nicht hinnehmbaren Zwangslage für Stadträtinnen und Stadträte.
Worum geht es im Streit um den Forst Kasten?
Der etwa 800 Hektar große Wald, südwestlich der Stadtgrenze gelegen, gehört zum Münchner Grüngürtel. Er ist ein wichtiges Naherholungsgebiet, ein Garant für Frischluftzufuhr im Ballungsraum und Lebensraum für unzählige Tierarten, Pflanzen und Organismen. Es handelt sich um Stiftungswald, den die Landeshauptstadt München verwaltet. Durch die Bewirtschaftung des Waldes finanziert Münchens älteste Stiftung, die des Heiliggeistspitals, ein Pflege- und Altenheim für rund 200 Bewohner*innen in Neuhausen. Der überwiegende Teil des Forst Kasten unterliegt als sogenannter Bannwald strengen Landschaftsschutzauflagen, die Bewirtschaftung durch die Münchner Forstverwaltung unterliegt den strengen Nachhaltigkeitsgrundsätzen der Naturlandzertifizierung. Etwa fünf Prozent der Gesamtfläche (ca. 42 Hektar) sind von diesem Schutz jedoch ausgenommen, da sie in einem sogenannten Rohstoff-Vorranggebiet liegen. Der Regionalplan räumt in diesen Gebieten dem Abbau von Bodenschätzen für die regionale Versorgung, etwa der Bauwirtschaft, Vorrang ein (siehe: region-muenchen.com/regionalplan). Die vom Sozialreferat verwaltete Heiliggeistspital-Stiftung strebt seit Längerem an, eine Fläche von 9,5 Hektar Wald an eine Firma zu verpachten, die dort Kies abbauen möchte. Das entspricht zwar nur rund einem Prozent der Gesamtfläche, dennoch müssten ca. 9000 Bäume gefällt werden. Das lehnen wir strikt ab!
Warum Kiesabbau? Reichen die Einnahmen aus der Forstwirtschaft der Stiftung zum Erhalt des Stiftungsvermögens denn nicht aus?
Wie das Sozialreferat dem Stadtrat dargelegt hat, haben Sturmschäden und die Folgen des Klimawandels die Einnahmen aus der nachhaltigen Forstwirtschaft stark reduziert. Der unabdingbare Umbau des Waldes vom überwiegenden Fichten- zu einem Mischwald mit klimawandelresistenten Baumarten kostet Zeit und Geld. Die zugrunde liegende Stiftungssatzung verlangt jedoch, dass das „Grundstockvermögen in seinem Bestand dauernd und ungeschmälert zu erhalten“ ist. Nach Einschätzung des Sozialreferates würden sich die zusätzlichen Einnahmen der Stiftung aus dem Kiesabbau und der Wiederverfüllung auf ca. drei Millionen Euro belaufen, über eine Abbauzeit von 15 Jahren. Teil der Ausschreibung und übliche Praxis bei Kiesabbau ist, dass die Grube nach dem Ausbeuten des Gesteins mit Bauschutt verfüllt wird, auf den wiederum Mutterboden aufgetragen wird. Dann soll wieder aufgeforstet werden. Die massiven Zweifel daran, dass dieser Umweltausgleich langfristig gelingt und auf der ausgekiesten Fläche wieder ein gesunder Wald wachsen kann, teilen wir. Über viele Jahrzehnte langsam gewachsener Waldboden und die darin enthaltenen unzähligen Mikroorganismen lassen sich nicht so ohne weiteres hin- und herräumen. Auf die Minderung des Bodenwertes und einen damit einhergehenden, möglichen finanziellen Schaden für das Stiftungsvermögen haben wir immer wieder hingewiesen.
Warum kann der Stadtrat eine Auskiesung nicht einfach unterbinden?
Über die Belange der Heiliggeistspital-Stiftung entscheidet der Sozialausschuss. Alle Stadträt*innen im Sozialausschuss sind qua Amt auch Beirät*innen der Stiftung. Und in dieser Funktion unterliegen sie dem Stiftungsrecht. Das heißt, die Grünen Stadträt*innen und die aller anderen Fraktionen dürfen, wenn es um die Heiliggeistspital-Stiftung und die Nutzung des Forst Kasten geht, nicht gemäß ihres kommunalen Mandats votieren, das sie von den Wählerinnen und Wählern erhalten haben, sondern als Mitglieder des Stiftungsrates. Politisch lehnen wir, die Fraktion Die Grünen – Rosa Liste, ebenso wie unsere Koalitionspartnerin, die Fraktion SPD/Volt, weiteren Kiesabbau im Forst Kasten strikt ab. Er ist mit den Erfordernissen von Klima- und Umweltschutz nicht vereinbar. Dies haben wir in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht und Stellungnahmen eingefordert. Die Regierung von Oberbayern (ROB) hat in ihrer Funktion als Stiftungsaufsicht der Stadt jedoch mitgeteilt, es sei „aus Rechtsgründen nicht möglich, von der derzeit anstehenden Vergabe [zum Kiesabbau] Abstand zu nehmen. Jedenfalls zieht eine Abstandnahme zum jetzigen Zeitpunkt Schadensersatzansprüche der Stiftung gegenüber dem Oberbürgermeister und den einzelnen Stadtratsmitgliedern nach sich.“ Als im Jahr 2020 gewählte Vertreterinnen und Vertreter werden wir als Stiftungsorgan de facto gezwungen, allein nach wirtschaftlichen Aspekten zu entscheiden und den Vergabebeschluss zur Abholzung und Auskiesung des Forstes zu bejahen, andernfalls droht uns Stadträt*innen der ROB zufolge eine Schadensersatzklage bis hin zu einem strafrechtlichen Verfahren wegen Veruntreuung von Stiftungsvermögen. Dies lässt völlig außer Acht, dass die meisten von uns an den zugrunde liegenden und jetzt vermeintlich bindenden Entscheidungen des Sozialausschuss aus den Jahren 2014 und 2017 nicht beteiligt waren.
Was hat es mit den Beschlüssen aus den Jahren 2014 und 2017 genau auf sich?
Die Regierung von Oberbayern und das Sozialreferat verweisen in ihren Stellungnahmen zur rechtlichen Situation für die Stadträt*innen auf zwei Stadtratsentscheidungen aus der letzten Legislaturperiode, aus den Jahren 2014 und 2017. Richtig ist, dass der Sozialausschuss in beiden Jahren den Beschlussvorlagen des Sozialreferats zum Forst Kasten zugestimmt hat. Diese Beschlüsse sind die Grundlage für die nun anstehende Kiesabbau-Pachtvergabe. Da dies in nicht-öffentlicher Sitzung erfolgt ist, darf aus diesen Sitzungen und zitiert werden. Dennoch ist es uns wichtig festzuhalten, dass unsere Fraktion im Jahr 2014 deutliche Vorbehalte gegen die Pläne der Stiftung geäußert hat. Die rechtlichen Zwänge, unter denen sich die Sozialausschussmitglieder aktuell befinden, galten auch damals schon. Auch für 2014 und 2017 gilt, dass die Sozialausschussmitglieder nicht im Rahmen ihres kommunalen Mandates, sondern rein als Stiftungsbeiräte abstimmen mussten und somit rechtlich verpflichtet waren, lediglich wirtschaftliche Interessen der Stiftung zu berücksichtigen. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass die Sozialausschussmitglieder bei einer Befassung mit etwaigen Plänen zu weiterem Kiesabbau im Forst Kasten erneut in eine Zwangssituation kommen könnten. Damit dem Stadtrat überhaupt Handlungsoptionen gegeben sind, müsste das hier geltende Stiftungsrecht, nachdem nur rein wirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden dürfen, geändert werden. Gemeinsam mit der Fraktion SPD/Volt haben wir deswegen einen Änderungsantrag gestellt, in dem wir das Sozialreferat bitten, darzustellen, welche konkreten Änderungen notwendig wären, um die Satzung der Heiliggeistspital-Stiftung München dahingehend ändern zu können, dass künftig nicht noch weitere Auskiesungen im Forst Kasten stattfinden. Zudem soll die Verwaltung prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass nachhaltige Belange des Umwelt- und Klimaschutzes in den Satzungen aller kommunalen Stiftungen generell gestärkt werden.
Welche Schadensersatzforderungen stehen im Raum?
Als Risiko für die Städträt*innen wird von der Regierung von Oberbayern eine Summe mindestens „in einer Größenordnung eines höheren Hunderttausend Euro-Betrages“ genannt. Weiterhin heißt es seitens der ROB: „Danach bliebe aus Sicht der Regierung von Oberbayern eine Entscheidung des Stadtrats, den Zuschlag in dem Ausschreibungsverfahren nicht zu erteilen, rechtswidrig, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem erheblichen Vermögensschaden der Heiliggeist-Stiftung München führen würde und damit gegen das Gebot der wirtschaftlichen Verwaltung des Vermögens der Stiftung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Stiftungsgesetz) verstieße.“ Dies könnte, wie oben beschrieben, neben einer Schadensersatzforderung auch ein strafrechtlich relevante Klage gegen Mitglieder des Sozialausschusses nach sich ziehen.
Spielt das Stiftungsrecht Sozial- und Umweltpolitik gegeneinander aus?
In der Tat stehen wir als Grüne Fraktion vor einem – nach aktueller Rechtslage – unauflöslichen Dilemma. Der Schutz des Forst Kasten als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, als Naherholungsgebiet und als Frischluftreservoir für die ganze Region ist unser politisches Ziel. Darüber hinaus genießt der Umweltschutz Verfassungsrang, und die Ziele des Klimaschutzes sind gerade erst wieder durch höchstrichterliche Rechtsprechung aufgewertet worden. Dennoch werden wir die Auskiesung nicht ablehnen können, denn wir dürfen nach Auffassung der Aufsichtsbehörde nicht mit “Nein“ zur Auskiesung stimmen. Wir finden, es ist nicht zumutbar, dass einzelne Stadträt*innen massive Schadensersatzforderungen fürchten müssen und dadurch gezwungen werden, eine Entscheidung entgegen ihrer politischen Überzeugung treffen zu müssen. So hebeln Aufsichtsbehörde und Stiftungsrecht fundamentale demokratische Prinzipien aus. Das muss sich ändern. Umweltpolitik und Daseinsfürsorge, zu der die Heiliggeistspital-Stiftung mit ihrem Alten- und Plfegeheim einen unverzichtbaren Beitrag leistet, gehören zusammen. Heute weniger denn je kann man das eine nicht ohne das andere denken. Wir beantragen daher, dass das Sozialreferat aufzeigt, wie es gelingen kann, dass künftig auch Umwelt- und Klimaschutz konsequent mitgedacht und mitgeplant werden, bei Belangen der Heiliggeistspital- wie aller anderer Münchner Stiftungen. Die Heiliggeistspital-Stiftung ist auf die Auskiesung des Forstes zur Erfüllung ihres Stiftungszweckes nicht mehr angewiesen. Das Pflegeheim Heiliggeist kann seine Arbeit vollständig entgeltfinanzieren und ist zudem baulich komplett saniert. Umwelt und Klima aber verlangen unseren sofortigen Einsatz.
Was hat die Fraktion unternommen, um gegen den Zustimmungszwang vorzugehen?
Die Fraktion hat in den vergangenen Monaten unter anwaltlicher Beratung vielfältigste Anstrengungen unternommen, um der Regierung von Oberbayern mögliche rechtskonforme Auswege aus der Auskiesung aufzuzeigen. Dass die ROB an der besagten Rechtsauffassung festhält, ist mehr als bedauerlich, doch sie bringt uns bei der Entscheidung über die Auskiesung in eine Zwangslage, in der wir lediglich wirtschaftliche Belange der Stiftung berücksichtigen dürfen – nicht jedoch klima- oder umweltpolitische. Dies gilt aus unserer Sicht aber nicht für die Genehmigungsvorgänge, die in der Kompetenz des Landkreises München und somit beim Landratsamt liegen. Umwelt- und Klimaschutz müssen bei einem etwaigen Genehmigungsverfahren besondere Berücksichtigung finden und mit verbindlichen Auflagen für den Pächter und deren Überwachung einhergehen.
Die Fraktionsvorsitzenden der grünroten Rathauskoalition, Anna Hanusch, Florian Roth, Anne Hübner und Christian Müller, haben am Tag vor der Abstimmung noch einmal schriftlich an die Regierungspräsidentin Maria Els appelliert, dass uns Stadträt*innen zugesichert wird, abstimmen zu können, ohne individuell finanzielle oder strafrechtliche Folgen fürchten zu müssen.
Kann die Auskiesung noch verhindert werden?
Wir teilen den Frust aller Bürger*innen und Bürger in Bezug auf die Position der Stiftungsverwaltung zum Forst Kasten und der damit einhergehenden Zwangslage für die Stadträt*innen im Sozialausschuss. Uns ist wichtig, keine falschen Hoffnungen zu wecken und keine Versprechungen zu machen, die wir nicht erfüllen können. Als Stadtratsfraktion sehen wir unseren Handlungsspielraum bei der Entscheidung des Sozialausschusses infolge der nicht auszuräumenden, den ehrenamtlichen Stadträt*innen drohenden Privathaftung ausgeschöpft. Wir befürworten aber ausdrücklich den gesellschaftlichen Protest der Bürgerinitiativen im Würmtal sowie durch Umweltschutzorganisationen wie dem SDW Bayern, Greenpeace und dem BUND Naturschutz gegen eine Auskiesung. Wir teilen die Kritik an der rigorosen Haltung der Regierung von Oberbayern. Ihre Rechtsauffassung, die waldökologische und klimapolitische Belange rein finanziellen Stiftungsinteressen hintanstellt, können wir nicht nachvollziehen.
Wie geht es nun weiter?
In den Tagen vor der entscheidenden Sitzung im Sozialausschuss am 20. Mai 2021 haben Aktivist*innen im Forst Kasten bereits Bäume besetzt und so zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Wald und seine Belange gelenkt. Wir haben das Gespräch mit den Aktivist*innen vor Ort gesucht, weil wir das Ziel teilen, eine weitere Auskiesung zu stoppen und den Wald langfristig zu schützen.
Wir stehen außerdem in engem Austausch mit der grünen Landtagsfraktion. Die MdLs Christian Hirneis, Ludwig Hartmann, Claudia Köhler und Markus Büchler fordern die Staatsregierung auf, zu einem Fragenkatalog zum Forst Kasten Stellung zu beziehen, den wir gemeinsam erarbeitet haben. In Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion werden wir uns nachdrücklich für Gesetzesänderungen einsetzen, damit in Zukunft die wirtschaftlichen Interessen einer Stiftung nicht mehr über das Allgemeinwohl, den Naturschutz und den Klimaschutz siegen können. Und damit wir Stadträt*innen unser kommunalpolitisches Mandat gemäß unseren politischen Überzeugungen ausüben können, ohne durch Androhung von Strafen unter Druck gesetzt zu werden. Dazu werden wir eng mit der Landtagsfraktion zusammenarbeiten. Außerdem werden Claudia Köhler MdL, Mitglied des Kreistags München, und Markus Büchler MdL, Mitglied des Kreistags München, auch auf dieser Ebene eine Ausnahmegenehmigung von der Landschaftsschutzgebietsverordnung für den Kiesabbau ablehnen. Sie hoffen, dass auch alle anderen Parteien im Kreistag sich für den Schutz des Forst Kasten stark machen.