Antrag | 10.12.2014

Aufhebung des Verbots der Verlegung von Stolpersteinen

Antrag

Das Verbot jeglicher Verlegung von Stolpersteinen im öffentlichen Raum wird aufgehoben.

Stolpersteine (oder ähnliche Gedenkformen im Boden) dürfen in Zukunft dann verlegt werden, wenn Angehörige der Opfer es befürworten oder – im Falle, dass keine Angehörige vorhanden sind oder diese nicht auffindbar sind – die Verbände der jeweiligen Opfergruppen keine Einwände erheben.

Dabei sind nur Stolpersteine zuzulassen, bei denen keine Tätersprache verwendet wird (bei der Textgestaltung müssen Angehörige bzw. Opfergruppenverbände das letzte Wort haben).

Außerdem werden vom Kulturreferat ergänzende Alternativen geprüft um individuelles Gedenken in anderen Fällen zu ermöglichen (etwa in Austausch mit der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern).

 

Begründung:

In mehr als 1000 Städten in 18 Ländern Europas wurden bereits Stolpersteine verlegt – im Bürgersteig eingelassene Metallplatten zur Erinnerung an Menschen, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden – vor den Häusern, in denen diese Menschen gelebt hatten.
Für viele ist dies eine besonders konkrete und persönliche Form des Gedenkens: Ein Stolperstein erinnert an einen Menschen – nicht als einen unter vielen, nicht irgendwo, sondern ganz individuell genau da, wo der Ermordete lebte: mitten unter uns.
Die Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Männer, Frauen und Kinder aus ganz unterschiedlichen Gruppen, sei es weil sie zum Beispiel Juden oder Sinti, Kommunisten oder Menschen mit Behinderung waren. Stolpersteine können dazu beitragen, dass wir die Einzelschicksale im Blick behalten – und die Barbarei ständig mahnend vor Augen haben.
Die Stolpersteine sind eine von unten wachsende Gedenkform. Sie erfordern die Initiative der Bürgerinnen und Bürger. Es recherchieren Schulklassen in ihrem Stadtteil, in der Nachbarschaft wird diskutiert, Angehörige werden einbezogen und eingeladen in die Heimat ihrer ermordeten Vorfahren.
Das Stolpersteine-Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet. Die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident haben ihre Anerkennung ausgesprochen. Auch viele Präsidiumsmitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland (wie der jetzige Vorsitzende Josef Schuster und der langjährige stellvertretende Vorsitzende Salomon Korn) und die Vertretungen anderer Opfergruppen befürworten die Stolpersteine.
In 58 bayerischen Städten und Dörfern gibt es sie – doch in München ist es seit zehn Jahren verboten, Stolpersteine auf öffentlichem Grund zu verlegen.
Auf Antrag der Fraktion Die Grünen-rosa liste, fand am 5. Dezember 2014 ein Stadtratshearing in München statt. Dabei wurden die gegensätzlichen Einschätzungen dieser Gedenkform geäußert.
Es gibt Angehörige von Opfern, die sagen, Stolpersteine würden helfen, ein Stück Heimat zurückzugewinnen für ihre Familie (wie Peter Jordan, der bei dem Stadtratshearing anwesend war).
Während die einen sagen, dass man bei den Stolpersteinen stutzt, innehält, sich verbeugt vor den Menschen, denen die Steine gewidmet sind, sagen andere, dass Stolpersteine als ein Gedenken am Boden unwürdig seien, da man darauf herumtrampelt. Insbesondere die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, Frau Charlotte Knobloch, lehnt eine solches „Gedenken im Straßenschmutz“ ab und setzt dagegen das „Gedenken auf Augenhöhe“, etwa auf Metallplatten an Fassaden.
Andere Überlebende und andere Organisationen von Opfergruppen sehen das anders. Auf dem Stadtratshearing wurde über ein von der Landeshauptstadt München organisiertes Treffen berichtet, bei dem folgende Organisationen vertreten waren bzw. Statements schriftlich übermittelten:

  • die Lagergemeinschaft Dachau
  • der VVN/Bund der Antifaschisten
  • die Arbeitsgruppe der Euthanasieopfer
  • das Isar-Amper-Klinikum
  • die KZ-Gedenkstätte Dachau
  • das Forum Homosexualität München
  • die Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, München
  • das Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas
  • des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising
  • der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“
  • des Landesverbands Bayern der Sinti und Roma
  • des Behindertenbeirats der Landeshauptstadt München

Es ergab sich eine breite und grundsätzliche Zustimmung zu dem Gedenkprojekt „Stolpersteine“. Den Bedenken sollte aber auch Rechnung getragen werden und den Wünschen der Familienangehörigen sollte hohe Priorität eingeräumt werden. Außerdem dürften auf den Steinen nicht Tätersprache verwendet werden und es dürfte auch keine Stigmatisierung durch die Nennung des Verfolgungsgrundes geben. Schließlich müssten die Stolpersteine als eine von vielen Formen des Erinnerns gesehen werden – eine Form, die auch (etwa durch eine App oder virtuelle Zugänge) mit weiteren Informationen kontextualisiert werden.
Wir glauben, dass die Stadt nicht stellvertretend für die Angehörigen und die Opfergruppen darüber entscheiden kann, was eine würdige Form des Erinnerns und Gedenkens ist.
Deshalb schlagen wir einen Kompromiss vor: Die Betroffenen müssen das letzte Wort haben. Wenn eine Familie für die Opfer in den eigenen Reihe Stolpersteine will, sollte die Stadt das nicht verbieten.
Nicht in jedem Fall sind Angehörige vorhanden oder auffindbar. Dann ist die Meinung der Opfergruppenverbände zu hören. Sofern es hier Bedenken gibt, sollten Stolpersteine nicht verlegt werden.
Außerdem sind die begleitenden Forderungen aus dem Treffen der Opfergruppen zu berücksichtigen.
Für jene, die ein Gedenken auf dem Bürgersteig für unwürdig halten, ist über Alternativen zu diskutieren. Im Statement von Charlotte Knobloch hieß es: „Würdiges Gedenken darf nicht am Boden, sondern muss auf Augenhöhe geschehen.“ Deshalb könnten Alternativen für den legitimen Wunsch nach individuellem Gedenken im öffentlichen Raum sein, Metallplatten an Fassaden oder sämtliche Namen der NS-Opfer am Platz der Opfer des Nationalsozialismus bzw. am NS-Dokumentationszentrum anzubringen. Diese Alternativen sollten in Kooperation der Landeshauptstadt München z.B. mit der Israelitischen Kultusgemeinde geprüft werden.

 

Fraktion Die Grünen-rosa liste

Initiative:
Dr. Florian Roth
Gülseren Demirel
Sabine Krieger
Paul Bickelbacher
Herbert Danner
Lydia Dietrich
Katrin Habenschaden
Anna Hanusch
Jutta Koller
Sabine Nallinger
Thomas Niederbühl
Oswald Utz

Mitglieder des Stadtrates