Pressemitteilung | 19.01.2022

„Mehr Zukunft wagen“

Rede zum Haushalt der Landeshauptstadt München für das Jahr 2022
von Dr. Florian Roth, Fraktionsvorsitzender Die Grünen Rosa Liste in der Vollversammlung des Stadtrats am 19.01.2022

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Kolleg*innen,

das ist jetzt inklusive des Nachtrags zu 2020 der dritte Haushalt, der unter dem Schatten der Pandemie steht (und hoffentlich der letzte, so wage ich zu ergänzen).

Am Anfang soll ein Dank stehen. Der gilt allen Steuerzahlenden – Arbeitnehmer*innen, Freiberuflichen, der Wirtschaft. Der gilt allen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung und unserer GmbHs. Besonders jenen, die in der Pandemie vieles leisten und denen viel abverlangt wird, auch von uns. Natürlich gilt mein Dank als Korreferent der Kämmerei gerade diesem Referat.

Nun zu den Zahlen. Für den vorsokratischen Philosophen Pythagoras waren sie ja das Wesensprinzip alles Seienden. Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Er spiegelt politische Werte, Prinzipien, Ziele und Prioritäten wider.

 Ich möchte nun

  1. etwas über den Gesamthaushalt sagen
  2. über die Investitionen
  3. über die Ausgaben
  4. über die Einnahmen.

1. Zum Gesamthaushalt

Wir wollen dieses Jahr 7,5 Milliarden konsumtiv, also für Personal, Sach- und Transferkosten ausgeben und zusätzlich knapp 2 Milliarden für Investitionen, also zusammen fast 10 Milliarden Euro. (Es gibt nicht wenige europäische Staaten mit einem geringeren Etat.)

Wir haben die konjunkturelle Haushaltskrise mit coronabedingten Steuermindereinnahmen schneller überwunden, als manche erwartet haben. Deshalb können wir einige Härten gerade für die Stadtverwaltung zurücknehmen, das ist erfreulich.

Neben der konjunkturellen Haushaltskrise gibt es aber eine strukturelle. Wir können ein Plus von über 100 Millionen bei den konsumtiven Ausgaben verzeichnen, also bei der sogenannten „laufenden Verwaltungstätigkeit“, weil die Steuereinnahmen um eine halbe Milliarde höher sind als prognostiziert. Vorgeschrieben ist ein Plus in Höhe der ordentlichen Tilgung, was momentan eben 100 Millionen ausmacht.

Aber wir haben wegen der hohen Investitionen insgesamt ein Minus von gut einer Milliarde und müssen deshalb in ähnlichem Volumen Schulden aufnehmen. Jede neue Milliarde Schulden heißt jährlich weitere 30 Millionen Tilgung und 10 Millionen Zinsen.

Strukturell haben wir das Problem, das selbst in den letzten Jahren trotz Gegenmaßnahmen Ausgaben weiter – zumindest leicht – wachsen (von 6.7 Milliarden im Jahr 2019 auf 7,5 Milliarden im Jahr 2022), der Investitionsbedarf aber sprunghaft steigt.

Deshalb brauchen wir eine moderate Haushaltspolitik. Aristoteles definierte Tugend als das richtige Maß zwischen Übermaß und Mangel. Wir bemühen uns zumindest tugendhaft zu sein. Das heißt: weder den Sirenenrufen der Linken nachzugeben alle Haushaltsdisziplin fahren zu lassen – noch  der immergleichen Leier der FDP, jeglichen politischen Gestaltungsanspruch aufzugeben zugunsten eines sturen Austeritätskurses.

2. Zu den Investitionen

Mehr Zukunft wagen“ so könnte man das Leitwort dieser Koalition formulieren. Nüchterner ausgedrückt: In zentralen Bereichen steigern wir die für die Zukunft entscheidenden Investitionen. Insgesamt planen wir mit Rekordinvestitionen von knapp 2 Milliarden. Dabei ist wie bisher der größte Posten der dringend nötige Bau von Kitas und Schulen.

Grün-rot ist ein sozial-ökologisches Bündnis und deshalb setzt es hier soziale und ökologische Prioritäten:

  • 100 Millionen jährlich mehr insbesondere für bezahlbares Wohnen,
  • 100 Millionen mehr für Klimaschutz,
  • kräftige Investitionen in die Verkehrswende.

Wir wollen ein sozial gerechtes München mit bezahlbaren Mieten.
Wir wollen den von Wissenschaft und Wirtschaft prognostizierten Verkehrskollaps verhindern.
Wir wollen gegen die Menschheitskrise Klimakatastrophe angehen.

Das sind die größten Herausforderungen für uns und auch für die Bürger*innen. All das erfordert in den nächsten Jahre Milliardeninvestitionen. Ich nenne ein paar Beispiele:

Wohnungsbau
Wir erhöhen die Zielzahlen im Wohnungsbau, etwa von 1.500 städtischen Wohnungen pro Jahr auf 2.000, was laut Planungsreferat für die städtischen Wohnbaugesellschaften in den nächsten Jahren Mehrkosten von einer Drittel Milliarde bedeuten würde (und das schon ohne höhere Energiestandards).

Klimaschutz
Wir haben jüngst in den Grundsatzbeschlüssen Klimaschutz einen Gesamtfinanzrahmem von 720 Millionen, also ca. 180 Millionen pro Jahr, festgesetzt. 2020 bis 2026 wird das inklusive konsumtiver Ausgaben fast eine Klima-Milliarde sein.

Verkehrswende
Wir haben mit über einer halben Milliarde ein erstes ÖPNV-Bauprogramm mit dem Schwerpunkt Tramoffensive beschlossen und beschleunigen den Bau Tramwesttangente; wir bringen die U-Bahn nach Pasing voran und planen weiteren U-Bahnausbau; wir beschließen ein Busbeschleunigungsprogramm mit rund 4 Millionen; wir investieren 15 Millionen zusätzlich in Sharing-Angebote für Auto und Rad; wir setzen stufenweise den Radentscheid um.

Ich könnte jetzt ausführlich über den Investitionsstau als Erblast aus der letzten Wahlperiode reden, die Versäumnisse bei Verkehrswende und Klimaschutz aus dieser Zeit benennen. Aber wichtiger ist es, in die Zukunft zu schauen.
Dazu will ich in zwei Bereichen aktuelle Kontroversen anzusprechen:

  • Beim Klimaschutz wirft uns der größere Teil der Opposition, zum Beispiel gestern in der digitalen Ausschussdebatte, vor, bei der Dringlichkeit der Herausforderung zu übertreiben – und will deshalb den zweiten Grundsatzbeschluss ablehnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Klimaschutz kostet Geld, kein Klimaschutz kostet mehr als Geld.

Draußen stehen die jungen Leute von fridays for future; sie sind die Zukunft unserer Stadt. Sie fordern von uns: mehr, schneller, konsequenter. Und sie haben recht. Wir müssen an allen Schrauben drehen, an denen wir auf kommunaler Ebene drehen können. Ohne Zögern und Vertrösten. Das ist nicht, wie der Redner der CSU gestern sagte, Fundamentalismus, sondern entschlossener Realismus.

  • Bei der Verkehrswende wird uns vorgeworfen, wir würden hauptsächlich und zu viel Geld fürs Rad ausgeben; Geld, das anderswo fehlen würde. Schauen wir uns doch mal die tatsächlichen Relationen an. Egal wie man es rechnet: Jährlich investieren wir weniger als 20 Millionen in den Radverkehr. Das ist ein Prozent des Gesamtinvestitionsbudgets und in Relation zu den Tram- und U-Bahn-Projekten geht es hier eigentlich um Peanuts. Ein Kilometer U-Bahn kostet 200 Millionen, ein Kilometer Tram 20 Millionen, ein Kilometer Radweg 2 Millionen. Wir müssen in alle umweltschonende und platzsparende Mobilitätsformen investieren – und noch mehr als bisher in den Radverkehr.

Zum Investitionshaushalt noch zwei Schlussbemerkungen:

  • Wir wollen weiter in Kulturbauten investieren, die Eröffnung von Isarphilharmonie, des HP8 und des Volkstheaters waren echte Höhepunkte des letzten Jahres und sie blieben im Zeit- und Kostenplan. Die Jutier- und die Tonnenhalle wollen wir für die freie Szene herrichten. Wir stehen weiter zur umfassenden Modernisierung des Gasteig. Das wird noch dauern – bis dahin lasst uns mit einer phantasievollen Zwischennutzung improvisieren!
  • Mein letzter Punkt zu Investitionen ist aber nun, dass es bei vielen Projekten gar nicht nur das Geld das Problem ist, sondern das Tempo. Wir müssen bei Planungs- und Bauprozesse beschleunigen. Vielleicht könnte hier der Koalitionsvertrag der Bundes-Ampel Vorbild sein, demzufolge die Dauer von Verwaltungsverfahren mindestens halbiert werden sollen.

3. Zu den konsumtiven Ausgaben

Wir wollen uns nicht nur den großen Herausforderungen der Zukunft stellen, sondern auch die drängenden Fragen der Gegenwart trotz begrenzter Ressourcen entschlossen angehen.

Wir haben der Verwaltung viel abverlangt, viele Stellen konnten nicht neu besetzt werden. Angesichts höherer Steuereinnahmen konnten wir den Sparbeitrag beim Personal für 2022 streichen und einen Teil der bisherigen Einsparungen wieder zurückgeben – in der Summe über 50 Millionen Euro.

Wir haben insbesondere jenen Referaten zusätzliches Personal gegeben, welche die großen Investitionen bei Wohnungsbau, Klimaschutz und Verkehrswende umsetzen sollen.

Außerdem setzen wir klare Schwerpunkte in den drängenden Fragen der Gegenwart, hier einige Beispiele von gezielten Mehrausgaben:

  • Mit 7,5 Millionen statten wir einen Pandemiefolgenfonds besonders in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur aus. Eine hervorragende und wichtige Initiative, für die ich unserer Koalitionspartnerin danke.
  • Mit 1 Million unterstützen wir die Wirtschaft und die Entwicklung der von der Krise gebeutelten Innenstadt.
  • Mit 1 Million initiieren wir einem Bürger*innenhaushalt.
  • Mit 15 Millionen Euro treiben wir die Digitalisierung weiter voran.

Wir werden weiter Reformen der Stadtverwaltung vorantreiben, sie digitaler, moderner und effizienter machen, Doppelstrukturen und Überbürokratisierung abbauen und Aufgabenkritik üben. Das Programm NeoHR in der Personalverwaltung mit ca. 300 Stellen Einsparpotential sowie schlankeren und schnelleren Prozessen werden wir umsetzen (hier gilt großer Dank dem Personalreferenten Alexander Dietrich), wir werden auch Doppelstrukturen im IT-Bereich abbauen.

4. Einnahmen

Zum Schluss aber noch zum unpopulären Punkt der Einnahmen. Ohne Einnahmensteigerungen werden wir die genannten Herkulesaufgaben nicht schultern.
Wir werden weiter Land und Bund in die Pflicht nehmen, gerade bei den milliardenschweren Verkehrsinvestitionen.
Aber wir müssen auch Gebühren und Preise erhöhen. Das forderte schon die nicht gerade grün-rote Regierung von Oberbayern in ihrem Schreiben zur Haushaltsgenehmigung. Im Eckdatenbeschluss wurde das Ziel von 50 Millionen Euro festgeschrieben. Die Referent*innen verschiedener politischer Couleur haben dazu dankenswerterweise Vorschläge gemacht. Vom Kulturreferenten Biebl mit den Kammerspielen über den Wirtschaftsreferenten Baumgärtner mit dem Tierpark, dem Mobilitätsreferenten Dunkel und dem Zeitparken bis zum Kreisverwaltungsreferenten Böhle und dem gewerblichen Parken. Viele Gebühren und Preise wurden (im Gegensatz etwa zu den MVV-Tickets) seit vielen Jahren nicht erhöht. Erfreulich ist das alles nicht, aber notwendig.

Verständlicherweise erhebt sich auch Protest von Betroffenen. Besonders laut ist der bei den Parkausweisen für das Handwerk und in Prozenten ausgedrückt klingt die Steigerung gravierend. Ich möchte jedoch zu bedenken geben: Auf den Werktag gerechnet sind es unter 3 Euro. Das eigentliche Problem für den Wirtschaftsverkehr sind Verluste an Zeit und damit Geld, wenn man in Stau und Parkplatzsuche feststeckt. Dann geht es auf die Lohnkosten gerechnet schnell um zweistellige Summen. Das wollen wir angehen, dazu hat Grün-rot erst gestern einen Antrag gestellt zu Verbesserungen im Wirtschaftsverkehr.

Fazit

Ich begann mit einem Pythagoraszitat und sagte, dass der Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, ihre Ziele und Werte in ihm erkennbar sind. Als sozialökologisches Bündnis wollen wir die Zukunft für alle sichern: gerecht und nachhaltig, für Zusammenhalt, Klimaschutz und Verkehrswende.

Wir machen, was wir gesagt haben, und sagen, was wir machen werden. Oder um ein Wort des neuen Bundeskanzlers abzuwandeln: Wer bei uns eine ökologische und soziale Politik bestellt, der bekommt sie auch. Diesem Wählerauftrag sind wir verpflichtet.

Wir freuen uns nun auf die großen Gegenentwürfe, die alternativen Prioritätensetzungen. Denn der friedliche Streit um die bessere Lösung ist das Lebenselixier der Demokratie.